Nein, eben nicht nur Stadt – Urbane Landschaften meint Landschaften, wie wir sie durch unsere urbanen Lebensweisen und unsere städtische Brille prägen, meint die Augen mal ein wenig zusammenzukneifen und alles als Landschaft zu sehen. Einmal die Trennung aufgeben zwischen Stadt und Land, die es eh schon lange nicht mehr gibt. Aufhören Land gleich Landschaft zu setzen. Eine Weile die Bewertung »gut«, »schlecht«, »schön«, »hässlich« beiseite lassen: einfach nur beobachten was ist. Die Dünen, den Strand, die Menschen, die Felder, den Sand, die Häuser, den vorbei rauschenden Zug, die Sonne, das Geräusch des Regens, das Rufen des Eisverkäufers – und all das zusammenfassen und (staunend) sagen: Das ist eine Landschaft und zwar eine urbane:
Fachleute – wie Geographen, Landschaftsarchitekten, Architekten, Stadt- und Raumplaner ringen immer um Begriffe, mit denen sie Raum, der ihr Berufsfeld ist, jeweils nach bestem zeitgenössischen Wissen benennen. Die Bedeutung des Begriffes Landschaft wird seit einiger Zeit neu diskutiert: Arkadien oder die insulare Scheinidylle stimmen nicht mehr, natürlich im Gegensatz zu künstlich ist fraglich geworden, denn auch Menschen sind Natur – und was sind all die hybriden Gebilde aus Mensch-Natur-Prozessen? Aber Landschaft ist ohnehin eine Weise, wie Menschen Raum wahrnehmen, Landschaft kann auch etwas anderes sein, taugt als Bezeichnung für das gesamte Raumgeschehen! Warum nicht mal – als Mensch – Teil dieser Landschaft sein und mal sie beobachtend, sie ästhetisch mit allen Sinnen wahrnehmend als Urbane Landschaften bezeichnen?
Urbane Nutzungen und Einflüsse treten in unterschiedlichster Ausprägung auf, die (auch) auf einer Ferieninsel wie Sylt zu einem auffallenden Landschaftswandel führten:
Diese »Zumutungen der Stadt« lassen jährlich bei hunderttausenden von Menschen den Wunsch aufkommen, ihren Urlaub auf Sylt zu verbringen. Was wiederum gewaltige – allesamt raumwirksame – Folgen auf die Landschaft hat: Ausbau des Eisenbahn-, Strassen- und Flug- und Fährverkehrs, Bau von Beherbergungs- und Restaurationsbetrieben, von Zerstreuungs- und Vergnügungsstätten in großer Zahl, Service-Infrastruktur incl. Strandkörben und Rettungsschwimmern, Bau überdimensionierter Kläranlagen und Parkplätze zur Bewältigung der Saisonspitze – zu den 20.000 Einwohnern gesellen sich zur Hochsaison gut 150.000 Inselgäste hinzu, was einer vorübergehenden Versiebenfachung der Gesamt»nutzer«zahl der Insel entspricht.
Die zunehmende Urbanität schliesst auch vielfältige Eingriffe in die freie Landschaft ein: Maßnahmen des Küstenschutzes (Buhnenbauten/Deiche/Verfelsungen), Militäranlagen – sowie diverse Hinterlassenschaften aus den beiden Weltkriegen, Anlagen zur Wassergewinnung und – aufbereitung, Kiesgruben, Sende- und Messanlagen prägen – nur als Beispiele – die längst urban gewordene Landschaft. Selbst Naturschutzgebiete wurden in ihrer natürlichen Entwicklung durch umfangreiche Bepflanzungen landschaftsprägend verändert (Festlegung der Wanderdünen), gar erst geschaffen (Vogelkojen) oder – beispielsweise – durch Nitrateintrag (aus Autoabgasen) in ihrer natürlichen pflanzlichen Sukzession beeinflusst (Vergrasung Sylter Heidelandschaften durch Überdüngung aus der Luft). Mithin ist Sylt, im kollektiven Gewissen ihrer Nutzer als Oase der Natürlichkeit bekannt und beworben, in seiner Gänze zu einer Urbanen Landschaft geworden.
Könnte man nicht gar dieses neue urbane Raumgeschehen auch lieben? Zumindest mit Zuneigung und Humor betrachten?
Wie landschaftsprägend diese urbanen Einflüsse auf Sylt waren und sind, wird am besten deutlich, wenn man Fotografien aus der Zeit vor dem Einsetzen des Fremdenverkehrs (ab 1855) von der »baum- und strauchlosen Heideinsel« (1) mit der heutigen Situation vergleicht – und sich bewusst macht, das dieser Prozess beileibe nicht abgeschlossen ist.
Schliesslich hat sich nicht nur die Landschaft zum Urbanen verändert, sondern auch der Mensch: Die Einwohner leben nicht mehr »aus der Landschaft« durch Fischfang, Ackerbau und Viehzucht, sondern »von der Landschaft«, deren Vorzüge sie den Gästen verkaufen. Oder gar vom (Aus-)verkauf ihrer Landschaft, was besonders in der Gegenwart zu einem immer gravierenderen Problem wird.
Und die Gäste, vornehmlich aus Städten und Ballungsräumen anreisend, bringen ihre urbanen Lebensstile mit, leben ihre urbane Projektion – was auch zukünftig zur Urbanisierung der Insellandschaft beitragen wird.
Und wenn die Gäste humorvoll sehen könnten, was sie anrichten und die Einheimischen humorvoll wahrnehmen was die Gäste mitbringen? Konservative Großstadtkritik lebt bis heute fort, während wir gleichzeitig im Alltag und im Urlaub die Kultur, die Bildungschancen, die ökonomischen Möglichkeiten der Städte wahrnehmen und die italienischen Kneipen, das Flair oder die Begegnung mit Fremden schätzen. Wie also wäre es, unterschiedliche liebenswerte und aufregende Landschaften zu sehen, zu hören, zu fühlen, zu gestalten und die Urteile eine Weile ad acta zu legen. Neugierig fragen: was ist das eigentlich, was ich da wahrnehme? Welche Geschichte wird da erzählt? Gibt es Lustiges, Schönes, Erstaunliches zu entdecken?