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Die Artikel als PDF (mit Genehmigung der Sylter Rundschau – vielen Dank dafür!)

 

Weitere Rezensionen im Internet

Sylter Spiegel – Hans Jessels "urbane Landschaften" in der Alten Post zu sehen, 16.10.2013

 

Sylter Rundschau, Interview mit Hans Jessel, 8.10.2013

Sylter Rundschau – Hans Jessel: „Urbane Landschaften“ (I), 5.10.2013

Sylter Rundschau – Hans Jessel: „Urbane Landschaften“ (III), 10.10.2013

Sylter Rundschau – Hans Jessel: „Urbane Landschaften“ (IV), 11.10.2013

Sylter Rundschau, Interview, 8.10.2013 (externer Link)

Sylt | Herr Jessel, Ihre Fotografie ist bei Sylt-Liebhaber sehr beliebt, weil sie die Naturschönheit der Insel, ihre Landschaften, Strände und das insulare Leben auf so verlockende Weise in Szene setzen, dass jeder Betrachter Lust bekommt, die Insel zu besuchen. Doch nun haben  Sie auf Sylt   „Expeditionen in urbane Landschaften“ unternommen, zeigen Bilder, die den Eingriff des Menschen in das Inselparadies dokumentieren. Was ist passiert?

Passiert ist eine Umkehrung meiner Sicht auf die Insel. Ich wollte mit meiner bisherigen Fotografie den Respekt für die Natur, die Landschaft und die Strände erreichen. Meine Fotos sollten deshalb das Schöne, das Gute zeigen, um die Begeisterung und den Schutzinstinkt dafür auszulösen. Ich glaube auch immer  noch, dass das funktioniert. Aber ich muss ganz ehrlich sagen, ich bin immer skeptischer geworden, ob das wirklich der einzig richtige Weg ist. Deshalb habe ich mir die Frage gestellt, ob man nicht die Kraft der Fotografie nutzen sollte, an die Ecken von Sylt zu gehen und sie zu zeigen, die in keinem Werbeprospekt, auf keiner Postkarte, in keinem Kalender oder Sylt-Buch zu finden sind.

Galerie - Hans Jessel: "Urbane Landschaften"

Warum? Um Kritik an den Entwicklungen auf der Insel zu üben?

So einfach ist das nicht. Ich diskutiere mit Hille von Seggern, die die Idee zu diesem Projekt hatte, seit über zwei Jahren die Frage, wie die Urbanisierung der Sylter Landschaft zu bewerten ist. Und sie hat mich davon überzeugt, dass ich – endlich – diese Entwicklung  nicht nur im Zorn zu sehen darf, sondern mit Liebe und Humor. Ehrlich gesagt, habe ich immer noch Probleme, es so zu sehen, aber ich kann diese Haltung  fotografisch schon umsetzen.

Was heißt das?

Das heißt, dass ich das eigentlich nicht Schöne so fotografiere, dass es niemanden angreift, weil es als Bild so wirkt, dass es einen ästhetischen Reiz entwickelt, der es spannend macht, sich auch diese Fotografien anzuschauen.

Das heißt, die Bilder sollen einen kritischen Blick schärfen, aber nicht provozieren oder verletzen?

Ich bin ein visuell eingestellter Mensch und deshalb muss jedes Bild für mich am Ende auch etwas Schönes haben.

Warum dann solche Bilder?

Weil sie zum Hinschauen reizen – und zugleich Brüche zeigen. Brüche in Geschenkpapier sozusagen.

Die Brüche haben Sie früher nur mit Zorn ertragen, was ist passiert, dass sie Sie jetzt weniger oder gar nicht zornig machen?

Wie schon erwähnt, verdanke ich diese neue Sicht Hille von Seegern, die in der Urbanität nicht pauschal ein Unheil sieht, sondern auch eine Veränderung, die unsere Insel ebenso erfahren hat und weiter erfahren wird, wie weltweit alle Ort und eben auch solche touristischen Destinationen wie Sylt, die sie auf ihren Imagebildern aber systematisch ausblenden. Meine neuen Bilder blenden aber die Urbanität ein und stellen jedem Betrachter die Frage, wie er sich dazu stellt. Und das ohne platte Anklage, aber mit der nüchternen Feststellung, dass längst jeder Quadratmeter der Insel urbanisiert ist.

Haben Sie durch den neuen Blick, die Insel auch neu kennen gelernt?

Unbedingt ja, denn so habe ich während der Arbeit an dieser Ausstellung Plätze besucht, die mir geradezu eine Parallelwelt der Insel eröffneten.

Bei Urbanität denkt man an Städte und nicht an Strände, an Landschaft oder Natur. Sylt hat nur eine Stadt , aber  nur ein kleiner Teil Ihrer neuen Fotografien sind in Westerland entstanden. Wie verstehen Sie denn Urbanität?

Man denkt in der Tat bei dem Begriff an Städte, aber eigentlich macht sich die Urbanität außerhalb der Städte bemerkbar, denn dort sind ihre Spuren in der  Natur zu entdecken. Kiesgruben sind ein besonders gutes Beispiel dafür, aber auch die gewaltigen Stahlrohre, die am Strand für die Sandvorspülung benötigt werden oder die tiefen Spuren im Strandsand, die von den Fahrzeugen gezogen werden, die die sogenannten Strandversorger beliefern.

Versteht der Betrachter gleich, dass er Sylt-Fotos sieht?

Da bin ich selbst sehr gespannt. Ich könnte zum Beispiel 20 Fotos präsentieren und kein Mensch würde darauf kommen, dass sie Sylt zeigen, weil diese Bilder einfach nicht im öffentlichen Bewusstsein von der Insel vorhanden sind. Und selbst für mich ist es jeden Tag eine neue Entdeckung. Es ist eine neue Insel für mich.

Fürchten Sie, dass Ihnen die Sylt-Liebhaber und die Touristiker der Insel Nestbeschmutzung vorwerfen?

Ich hoffe, dass die Fotos eine Diskussion über die weitere Entwicklung der Insel entfachen. Das ist keine Nestbeschmutzung.

Sind nicht die einschneidenden Fehlentwicklungen der Insel längst gelaufen? Nehmen wir die Bausünden der letzten Jahrzehnte. Spielen diese architektonischen Verfehlungen eine dominante Rolle bei den Motiven der neuen Bilder?

Nein, es  wäre viel zu platt, diese Bauten zu zeigen. Jeder weiß, dass die nicht besonders schön sind und sicher auch viel kaputt gemacht haben. Nein, Entwicklungen, die gelaufen sind, muss man nicht erneut auf die Tagesordnung setzen. Aber wir haben die Chance, zukünftige Entwicklungen zu beeinflussen. Dazu sollen die Bilder einen Beitrag leisten. Allerdings keinen, der besserwisserisch, plakativ und provokant ist. Ich glaube an die Kraft der Fotografie. Wenn sie als beobachtendes, distanziertes und kritisches Medium genutzt wird, dann löst sie Prozesse aus – und die können zu einem verstärkten Bewusstsein und schließlich zur Beeinflussung von Entwicklungen führen. Ich möchte nicht plump zeigen, seht her, das ist hässlich, sondern auch den Charme des Hässlichen vermitteln.

Haben Ihre „Expedition in urbane Landschaften“ Ihren  Groll auf die Eingriffe in die Inselnatur nicht doch hin und wieder weiter genährt?

Nein, im Gegenteil. Ich kann heute die Widersprüche viel besser ertragen, finde sogar bestimmte Kontraste richtig klasse. Gut, Autospuren im Strandsand nerven mich immer noch, aber ich kann mich über andere Kontraste zu der Landschaft mittlerweile richtig freuen.

Interview: Michael Stitz

Sylter Rundschau – Hans Jessel: „Urbane Landschaften“ (I), 5.10.2013 (externer Link)

Urbane Landschaften beschränken sich beileibe nicht auf Innerstädtische Strukturen. Ganz im Gegenteil: Als viel beeindruckender erweist sich die urbane „Unterwanderung“ peripherer Gebiete, die zunehmend Urbanisierungsprozessen anheim fallen.

Der Sylter Strand – im kollektiven Gedächtnis ein Inbegriff von Unberührt- und Naturbelassenheit – erweist sich beim genaueren Hinsehen als Produkt eines urban-industriellen Eingriffs: Seit 1972 wurden durch Sandvorspülungen über 30 Millionen Kubikmeter Sand vorgespült, was zu einer Umkehrung der seit Jahrhunderten dominierenden Landschaftsgenese führte: Die vormals stetig unter Abbrüchen leidende Küste hat durch verstärktes Vordünen-Wachstum bereits heute den Zustand von vor 1900 zurück erobert. Negative Begleiterscheinungen: Der „künstliche“ Sand ist scharfkantig, wird leicht verweht und droht, nur als Beispiel, ein Wahrzeichen der Insel – das Rote Kliff – zum „Toten Kliff“ zu degradieren. Aufgrund mangelnder Abbrüche verstürzt die Abbruchkante, wird übersandet und bewachsen – also hat die Urbanisierung, die letztlich auf 100 Prozent der Inselfläche nachweisbaren Eingriffe des Menschen, auch diese „Naturlandschaft“ erreicht. Ist das nun schlecht? Oder nicht vielmehr gut - für Sylt? Mit meinen Fotografien möchte ich um diese Fragen keinen Bogen (mehr) machen.

Sylter Rundschau – Hans Jessel: „Urbane Landschaften“ (III), 10.10.2013 (externer Link)

Landschaften werden vom Betrachter gerne mit Projektionen überlagert – urbanen Projektionen meist, die der Idylle und dem durch die Werbung suggerierten Ideal- beziehungsweise Leitbild entsprechen. So wird das Bild vom windzerzausten Strandhafer und einer stürmisch daherkommenden Nordsee zum Leitmotiv der Herbst-/Winterwerbung eines insularen Ferienziels.

Nur mit Zögern und widerwillig wird der Konsument eines derartigen Fotos die Realität akzeptieren, dass nämlich diese „Naturlandschaft“ längst nicht mehr so natürlich ist wie angenommen: Sind es Maßnahmen des Küstenschutzes, die hier von schwerem Gerät erledigt werden sollen? Gibt es vielleicht Probleme mit der Ortsentwässerung, die schnellstens behoben werden müssen – oder ist vielleicht nur etwas Größeres angeschwemmt, das abtransportiert werden soll? Egal – fest steht nur, dass auch im Falle des Sylter Strandes nicht mehr von einer Naturlandschaft gesprochen werden kann. Diese ist als „vom Menschen unbeeinflusst“ definiert – und findet sich in Deutschland (mit Augenzudrücken) nur noch im alpinen Hochgebirge.

Werbung und Realität klaffen derweil erschreckend weit auseinander – beim Durchblättern insularer Gastgeberverzeichnisse und sonstiger werbender Druckerzeugnisse fühle ich mich gelegentlich an die Gummibärchen-Reklame erinnert, die uns (fast) glauben machte, diese würden an Bäumen wachsen… und nicht einem industriellen Chemiecocktail entspringen. Ach – und wir hätten es doch sooo gerne geglaubt…

Sylter Rundschau – Hans Jessel: „Urbane Landschaften“ (IV), 11.10.2013 (externer Link)

In den 1970er Jahren vollzog die künstlerische Landschaftsfotografie einen eklatanten Wandel. Galt es vormals, heroische, vom Menschen unberührte Landschaften in fulminantem Licht darzustellen (mit Ansel Adams als bedeutendstem Vertreter), wurden Fotografen wie Robert Adams, Lewitz Baltz und Steven Shore zu Protagonisten einer neuen Strömung, die sich auf das Gegenteil konzentrierten: Nun stand der Wandel des unmittelbaren Lebensumfeldes im Fokus.

Durchaus mit einer Portion Wut im Bauch angesichts des rücksichtslosen Landschaftsverbrauchs entstanden Bilder in einem sachlichen, ja nüchternen Stil - von trostlosen Neubaugebieten, ausufernden Vorstädten, von Industriebrachen und von von Zivilisationsmüll verschmutzter Natur – als Dokumente eines entfesselten Lebensstils.

Diese Sichtweise mochte ich mir bislang nicht aneignen – sehe mich jetzt aber berufen dazu. Meine Zweifel mehren sich, ob die ausschliesslich „schöne“, werblich verwertbare Syltfotografie dieser Insel gut tut. Denn diese Fotografie lockt nur noch mehr Menschen nach Sylt - aber unter welchen Versprechungen? Mit meinen Bildern möchte ich bestimmt auch zur Diskussion um die Zukunft Sylts anregen.